Die SE als Konzerntochter- und Joint Venture-Gesellschaft
Dr. Erich Waclawik, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof
(Fußnoten nur im Original)
I. Einleitung
Blickt man auf die
Rechtsformstrukturen international tätiger deutscher Konzerne mit Gesellschaften
(u. a.) im EU-Ausland, so ist ein ausgeprägter „Rechtsformpluralismus“
auszumachen. Die nachgeordneten Konzerngesellschaften werden bzw. sind in aller
Regel in einer Rechtsform ihres Sitzstaates errichtet. Der gleiche Befund ergibt
sich bei Joint Venture-Gesellschaften (im Folgenden kurz: JV). Es stellt sich
die Frage, ob die im Kern supranationale Rechtsform der Societas Europaea (SE)
ein geeignetes Instrument ist, eine EU-weite Harmonisierung zu erreichen bzw.
sich diesem Ziel zumindest zu nähern. Hierbei ist von Interesse, welche Vor- und
Nachteile die SE als Konzerntochter und JV insbesondere im Vergleich mit ihrem
deutschen Pendant - der Aktiengesellschaft (AG) - aufweist. Im Folgenden werden
daher die Gründungsformen und der mit ihnen verbundene Aufwand, die Wahl der
Führungsstruktur, die laufenden Rechtsformkosten, die Reorganisationseignung der
SE sowie schließlich die Möglichkeit betrachtet, diese Rechtsform wieder zu
verlassen. Der Fokus der Analyse liegt hierbei auf den gesellschaftsrechtlichen
Handlungsspielräumen. Einzelheiten zu den Voraussetzungen und dem Verfahren der
Arbeitnehmerbeteiligung sowie zu den steuerlichen Implikationen der Gründung der
SE und ihrer Restrukturierung nach dem noch in der Entstehung befindlichen
SEStBeglG werden nicht dargestellt.
II. Wege in die Tochter- bzw. Joint Venture-SE („JV-SE“)
1. Der Numerus clausus der Gründungsformen
Die SE-VO sieht in ihrem Art. 2 sowie in Art. 3 Abs. 2 einen Numerus clausus der
Gründungsformen vor:
-
Gründung durch
Verschmelzung, Art. 2 Abs. 1 SE-VO;
-
Gründung einer
Holding-SE, Art. 2 Abs. 2 SE-VO;
-
Gründung einer
Tochter-SE durch mehrere „Mütter“, Art. 2 Abs. 3 SE-VO;
-
Gründung einer
Tochter-SE durch eine einzige Mutter-SE, Art. 3 Abs. 2 SE-VO
(sog. „Ausgründung“);
-
Gründung durch
Umwandlung (= Formwechsel), Art. 2 Abs. 4 SE-VO.
Die Errichtung einer Tochter- oder
JV-SE muss sich einer dieser Gründungsformen bedienen. Die Bar- oder
Sachgründung einer SE unter Beteiligung von natürlichen Personen ist nicht
möglich. Die Tochter-SE wird in der SE-VO als solche ausdrücklich angesprochen.
Hingegen wird die JV-SE weder in der SE-VO noch im deutschen Ergänzungsgesetz -
dem SEAG - erwähnt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die SE als Rechtsform
für Joint Ventures von vornherein ausscheiden würde. „Tochter-SE“ i.S.d. SE-VO
ist vielmehr nicht nur die „Konzerntochter“, sondern - wie insb. Art. 2 Abs. 3
SE-VO zeigt - auch die JV-SE.
2. Gründung einer Tochter-SE im deutschen Mutter-SE-Konzern
Die nachfolgenden Überlegungen setzen voraus, dass es deutsche Konzernmütter in
der Rechtsform der SE gibt. Wie der Fall „Allianz SE“ zeigt, wird dies künftig
der Fall sein, wenngleich noch ungewiss ist, welche Konjunktur die SE als
Rechtsform für deutsche Konzernobergesellschaften haben wird. Ferner ist diese
Gründungsvariante relevant für die Beurteilung der Attraktivität der SE als
Rechtsform einer Konzernmuttergesellschaft, da der Übergang in die Rechtsform
der SE an der Konzernspitze mit der Erwägung einhergehen wird, die SE als
Rechtsform auch auf nachgeordneten Konzernstufen zu etablieren.
a) Der Regelfall: Ausgründung der Tochter-SE gemäß Art. 3 Abs. 2 SE-VO
aa) Wesensmerkmale der Ausgründung
Die „Ausgründung“ der SE aus einer bereits bestehenden Mutter-SE ist von dem
Fall der Tochtergründung nach den Artt. 2 Abs. 3, 35 f. SE-VO zu unterscheiden.
Anders als nach jenen Vorschriften ist nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO eine
„Einmanngründung“ durch die Mutter-SE als Bar- oder Sachgründung möglich. Im
Vergleich mit der deutschen AG bedeutet dies - siehe § 2 AktG - zwar keine
Erleichterung. Anders kann dies hingegen bei der Gründung einer Tochter-SE im
EU-Ausland sein, da nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 SE-VO strengere Anforderungen des
nationalen Aktienrechts für die SE nicht gelten. Die Zahl der Ausgründungen ist
nicht beschränkt. Art. 3 Abs. 2 SE-VO lässt „eine oder mehrere“ Ausgründungen –
also beliebig viele – zu. Ebenfalls keine Beschränkungen gibt es hinsichtlich
der Zahl der Konzernstufen. Es ist nicht nur die Gründung von „Tochter-SEs“,
sondern auch die Gründung von „Enkel-SEs“, „Urenkel-SEs“ usw. möglich. Die
Gründung erfolgt hierbei allerdings nicht durch die Konzernmuttergesellschaft,
sondern jeweils durch die in der Konzernhierarchie übergeordnete SE. Dies
impliziert, dass für die Anwendung des Art. 3 Abs. 2 SE-VO die „SE-Kette“ nicht
oberhalb der zu gründenden SE unterbrochen sein darf. Ein weiteres Wesensmerkmal
der Ausgründung ist, dass die Tochter-SE weder durch das Halten von
EU-Auslandsbeteiligungen noch in sonstiger Weise einen EU-Bezug haben muss. Die
Gründung einer deutschen Tochter-SE einer in Deutschland ansässigen Mutter-SE
ist daher ohne weiteres möglich.
bb) Der Gründungsvorgang
Weder SE-VO noch SEAG regeln Einzelheiten des Gründungsvorgangs. Es gilt das
nationale Recht des künftigen Sitzstaates, Art. 15 Abs. 1 SE-VO. Bei der
Ausgründung einer Tochter-SE mit Sitz in Deutschland finden daher die
Vorschriften über die Gründung einer AG (§§ 23 ff. AktG) Anwendung. Art. 3 Abs.
2 SE-VO lässt leider unbeantwortet, ob daneben über Art. 9 Abs. 1 lit. c ii)
SE-VO bzw. Art. 15 Abs. 1 SE-VO auch eine Ausgliederung i. S. d. § 123 Abs. 3
UmwG – also im Wege der parziellen Gesamtrechtsnachfolge - möglich ist. Im
Schrifttum sind die Ansichten hierzu geteilt. Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 2
Satz 1 SE-VO spricht eher gegen die Möglichkeit der Ausgliederung, ebenso der
Wortlaut der Parallelvorschrift des Art. 2 Abs. 3 SE-VO. Allerdings ist
fraglich, ob der Wortlaut der SE-VO angesichts ihrer wechselvollen
Entstehungsgeschichte den Anwendungsbereich der Vorschrift exakt umschreibt. Die
Entwicklung der Rechtsprechung bleibt abzuwarten. Bis auf Weiteres ist die
Ausgliederung jedenfalls keine gesicherte Gründungsform.
b) Alternative: Gründung einer Tochter-SE durch Verschmelzung
Die Gründung einer Tochter-SE durch Verschmelzung nach den Artt. 2 Abs. 1, 17
ff. SE-VO, §§ 5 ff. SEAG, ist dann eine erwägenswerte Alternative zur
Ausgründung, wenn EU-weite Aktivitäten auf nachgeordneter Konzernebene in einer
Gesellschaft rechtlich gebündelt werden sollen. Der Wechsel der aufnehmenden
Gesellschaft in die Rechtsform der SE ist ausgehend von dieser Zielsetzung eher
ein Nebenprodukt. Die Verschmelzungsgründung ist allerdings nur unter
Beteiligung von Aktiengesellschaften möglich, Art. 2 Abs. 1 SE-VO i.V.m. Anhang
I. Auch bereits gegründete Tochter-SEs können an einer Verschmelzungsgründung
teilnehmen, Art. 3 Abs. 1 SE-VO. Möglich sind nicht nur bi-, sondern auch
multilaterale Verschmelzungen. Auf Grund des Mehrstaatlichkeitserfordernisses
(Art. 2 Abs. 1 SE-VO) müssen allerdings mindestens zwei der an der Verschmelzung
beteiligten Gesellschaften dem Recht verschiedener EU-Mitgliedstaaten
unterstehen, also im Regelfall in verschiedenen EU-Staaten ansässig sein. Bei
der multilateralen Verschmelzung können jedoch mehrere Gesellschaften in
demselben EU-Staat ansässig sein. Der Ablauf der Verschmelzung entspricht dem
Fall der Verschmelzung zweier (oder mehrerer) AG zu einer Mutter-SE.
c) Weitere Alternative: Gründung durch Formwechsel bzw. „Umwandlung“
Eine Tochter-SE kann ferner durch Formwechsel entstehen, den die SE-VO
„Umwandlung“ nennt, Artt. 2 Abs. 4, 37 SE-VO. Der Formwechsel nach der SE-VO ist
- wie derjenige nach den §§ 190 ff. UmwG - identitätswahrend, Art. 37 Abs. 2
SE-VO. Spezielle Anforderungen an den Formwechsel auf nachgeordneter
Konzernebene gibt es nicht. Auch hier ist ein Formwechsel in die SE nur der AG
eröffnet, Art. 2 Abs. 4 SE-VO. Diese Rechtsformbeschränkung verbietet indessen
einen vorgeschalteten Formwechsel in die AG nicht. Ferner ist ein mindestens
dreistufiger Konzernaufbau erforderlich, da die formwechselnde AG nach Art. 2
Abs. 4 SE-VO seit mindestens zwei Jahren über wenigstens eine
EU-Auslandstochtergesellschaft verfügen muss. Die Zweijahresfrist bezieht sich
nur auf die Haltedauer, nicht hingegen auf die Rechtsform als solche. Auch
„Nicht-AGs“ können daher innerhalb kurzer Zeit in eine SE formgewechselt werden.
Allerdings lässt die SE-VO keine „Typenvermischung“ durch Kombination des
Formwechsels mit einer Sitzverlegung zu, Art. 37 Abs. 3 SE-VO. Die
Nacheinanderschaltung beider Maßnahmen ist jedoch möglich, ohne dass eine
Wartefrist erfüllt werden muss. Auf die Einzelheiten des Verfahrens soll hier
nicht eingegangen werden. Hingewiesen sei nur zum einen auf die
Nichtanwendbarkeit des § 207 UmwG, der für den Formwechsel nach dem UmwG eine
Barabfindung widersprechender Aktionäre bzw. Gesellschafter vorsieht. Art. 37
SE-VO enthält keine entsprechende Regelung. Eine Abfindung widersprechender
Aktionäre ist daher bei dem SE-Formwechsel nicht erforderlich. Dies spiegelt den
Rechtsgedanken des § 250 UmwG wider, wonach auch bei dem Formwechsel einer AG in
eine KGaA (und umgekehrt) keine Barabfindung vorgesehen ist. Hingewiesen sei zum
anderen auf § 21 Abs. 6 SEBG. Danach darf der Formwechsel zu keiner Verminderung
der Arbeitnehmerbeteiligungsrechte führen.
d) „Gründung“ einer Tochter-SE durch Mantelverwendung?
Die vorbeschriebenen Beschränkungen bei der SE-Gründung legen die Frage nahe, ob
die Gründung einer Tochter-SE durch Verwendung eines vorhandenen „SE-Mantels“
ein schnellerer und effizienterer Gründungsweg ist. Der Mantelverwendung stehen
keine prinzipiellen gesellschaftsrechtlichen Hindernisse entgegen. Das SE-Recht
sieht insbesondere keine Mindesthaltefristen für die Gründer vor. Daher können
die Gründer ihre Aktien unmittelbar nach der erfolgten Handelsregistereintragung
der neu gegründeten SE veräußern. Allerdings gelten über Art. 5 SE-VO für die SE
die Kapitalerhaltungsvorschriften des nationalen Aktienrechts. Für eine in
Deutschland ansässige Tochter-SE dürften daher die Grundsätze zur
Mantelverwendung Anwendung finden („Mantelverwendung als wirtschaftliche
Neugründung“). Daher werden bei der „Aktivierung“ des SE-Mantels die nationalen
Gründungsvorschriften (erneut) zu beachten sein. Die Handelsregistereintragung
einer Mantel-SE wird daher nur nach sorgfältiger Prüfung erfolgen. Dies mag
zumindest einen Teil des Zeitvorteils der SE-Mantelverwendung aufzehren.
Eine noch nicht geklärte Frage ist ferner, ob und unter welchen Voraussetzungen
bereits bei der Mantelgründung das Verfahren der §§ 4 ff. SEBG zur Vereinbarung
der Arbeitnehmerbeteiligung durchgeführt werden muss, obwohl die „Mantel-SE“ bis
auf Weiteres inaktiv und „arbeitnehmerlos“ ist. Der Wortlaut des Art. 12 Abs. 2
SE-VO spricht für die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens. Die
Wortlautauslegung macht bei der Mantelgründung indessen keinen Sinn. Eine
teleologische Reduktion der Vorschrift liegt daher nahe. Die Frage der
Durchführung des Verfahrens zur Arbeitnehmerbeteiligung stellt sich allerdings
erneut bei der Mantelverwendung. Versteht man „Gründung“ i.S.d. Art. 3 Abs. 1
SE-RL bzw. § 4 Abs. 2 SEBG unter Einschluss der „wirtschaftlichen Neugründung“
im Sinne der BGH-Judikatur, so ist vor der Handelsregistereintragung im Rahmen
der Mantelverwendung ein Beteiligungsverfahren durchzuführen. Dies erscheint
auch systemgerecht, da die SE erst zu diesem Zeitpunkt „mit Leben erfüllt“ wird.
Da das Beteiligungsverfahren kein Selbstzweck ist, wird es aber auch in dem Fall
der SE-Mantelverwendung nicht erforderlich sein, wenn die SE auch weiterhin -
bspw. als Beteiligungs-Holding - arbeitnehmerlos bleibt. Die Praxis bleibt
allerdings bis auf Weiteres damit konfrontiert, dass diese Überlegungen nicht (höchst-)richterlich
abgesichert sind. Soll daher eine Tochter-SE durch Mantelverwendung gegründet
werden, ist eine vorherige Abstimmung mit dem Registergericht des künftigen
Sitzes der Tochter-SE zwingend.
3. Die Gründung einer Tochter-SE im „Nicht-Mutter-SE-Konzern“
Weder SE-VO noch SEAG schreiben vor, dass die Aktien einer SE nur von einer
(anderen) SE gehalten werden könnten. Die SE kommt daher auch als nachgeordnete
Gesellschaft im „Nicht-Mutter-SE-Konzern“ in Betracht.
a) Ausschluss der Ausgründung nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO
Tochter-SE-Gründungen nach dieser Vorschrift stehen weder der AG noch anderen
nationalen Rechtsformen offen. Dies zeigt, dass die SE-VO die SE als Tochter-
bzw. Enkelgesellschaftsform im Nicht-Mutter-SE-Konzern nicht in gleicher Weise
begünstigt wie im Mutter-SE-Konzern. Alle Gründungsformen des Art. 2 SE-VO
stehen aber auch hier zur Verfügung.
b) Gründung einer Tochter-SE nach Artt. 2 Abs. 3, 35 f. SE-VO
Die am Nächsten liegende Gründungsvariante ist die Gründung einer Tochter-SE
nach den Artt. 2 Abs. 3, 35 f. SE-VO. An dieser Gründungsform müssen zumindest
zwei Gründer beteiligt sein. Dieser Beschränkung steht ein weiter Kreis
möglicher Gründer gegenüber. Nach Art. 2 Abs. 3 SE-VO kommen als Gründer alle
Gesellschaften i.S.d. Art. 48 Abs. 2 EGV in Betracht. Dies sind alle deutschen
und EU-ausländischen Kapital- und Personengesellschaften sowie juristische
Personen des öffentlichen und privaten Rechts. Ausgeschlossen sind „lediglich“
natürliche Personen. Ferner müssen mindestens zwei Gründer - hier
Konzerngesellschaften - dem Recht verschiedener EU-Staaten unterliegen oder
jeweils seit mindestens zwei Jahren eine EU-Auslandstochtergesellschaft oder
eine EU-Auslandszweigniederlassung unterhalten, Art. 2 Abs. 3 SE-VO (sog.
„Mehrstaatlichkeitserfordernis“).
SE-VO und SEAG verlangen keine (Konzern-)Unverbundenheit
der Gründer. Mindestbeteiligungsquoten der Gründungsgesellschaften werden
ebenfalls nicht gefordert, erst recht keine „paritätische“ Gründung. Ferner gibt
es keinen Zwang zur befristeten Aufrechterhaltung der zwei- oder mehrgliedrigen
Gesellschafterstruktur. Nach Abschluss der Gründung ist daher die
Aktienübertragung auf einen Alleingesellschafter - bspw. die Konzernmutter oder
eine Beteiligungs-Holding - möglich. An der Tochter-SE-Gründung nach Art. 2 Abs.
3 SE-VO kann daher eine Konzerntochtergesellschaft als „Zweitgründer“
teilnehmen. Diese Konzerntochter kann - muss aber nicht - im EU-Ausland ansässig
sein, wenn sie – im drei- oder mehrstufigen Konzernaufbau – ihrerseits eine
Beteiligung an einer EU-Auslandstochtergesellschaft hält. Zum Verfahren der
Gründung nach Art. 2 Abs. 3 SE-VO enthalten weder die SE-VO noch das SEAG nähere
Vorgaben. Gemäß Art. 15 Abs. 1 SE-VO findet das am künftigen Sitz der Tochter-SE
geltende nationale Recht Anwendung. Die internen Abläufe bei den
Gründungsgesellschaften richten sich, was Art. 36 SE-VO klarstellt, nach deren
Gesellschaftsstatut. Der gesellschaftsrechtliche Aufwand für die Gründung einer
Tochter-SE liegt mithin im Prinzip auf dem Niveau der Gründung einer AG
nationalen Rechts. Allerdings ist, wie bereits erwähnt, eine „Einmanngründung“
nicht möglich.
c) Weitere Wege in die Tochter-SE: Verschmelzung, Formwechsel und Mantelkauf
Verschmelzungen auf nachgeordneter Konzernebene, Formwechsel in die Rechtsform
der (Tochter-)SE sowie die Verwendung von Mantelgesellschaften sind im
Nicht-Mutter-SE-Konzern ebenso möglich wie im Mutter-SE-Konzern. Die praktische
Relevanz dieser „alternativen“ Gründungsformen ist hier allerdings höher, da im
SE-Mutter-Konzern für die Tochter-SE-Errichtung der vergleichsweise einfache Weg
der Ausgründung eröffnet ist.
4. Die Gründung der SE als Gemeinschaftsunternehmen
Die Rechtsformwahl ist bei der Gründung von Joint Ventures in der Regel von
erheblicher Bedeutung. Sie beeinflusst zum einen Art und Umfang der
Gesellschafterrechte der Partner, namentlich ihren Einfluss auf die
Geschäftsführung. Ferner unterscheiden sich Kapital- und Personengesellschaften
nach dem deutschen Steuerrechts wesentlich dadurch, dass die Letzteren
ertragsteuerlich grds. keine Steuersubjekte sind, die Besteuerung also auf
Gesellschafterebene erfolgt. Die SE ist daher nur dann eine
Rechtsformalternative, wenn ihre Eigenschaft als Kapitalgesellschaft und damit
als Körperschaftsteuersubjekt (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG-E) entweder gewollt
oder zumindest hinnehmbar ist. Dies ist allerdings keine spezifische
SE-Thematik, sondern eine Grundsatzfrage, die sich auch bei (rein) nationalen
Gesellschaftsformen stellt. Soll danach eine JV-SE errichtet werden, so dürfte
die Gründung praktisch immer - ohne dass andere Gründungsformen ausgeschlossen
wären - nach den Artt. 2 Abs. 3, 35 f. SE-VO erfolgen, da diese Gründerform
ohnehin die Beteiligung mindestens zweier Gründer voraussetzt. Auf Grund des
weiten Kreises möglicher Gründer ist die (JV-)SE nicht nur für
Gemeinschaftsprojekte privater Unternehmen bzw. Konzerne, sondern auch für
solche öffentlich-rechtlicher Körperschaften geeignet. Einsatzgebiete sind bspw.
grenzüberschreitende Verkehrsprojekte oder Projekte der transnationalen Strom-
und Gasversorgung.
III. Gestaltung der Leitungsstruktur bei Tochter- und JV-SE
1. Die Möglichkeit der Wahl zwischen zwei Leitungsmodellen
Eine wesentliche Eigenheit der SE ist die Möglichkeit der Wahl zwischen dem
dualistischen und dem monistischen Leitungsmodell. Hier sind nicht die
Einzelheiten der beiden Modelle, sondern die prinzipiellen Vor- und Nachteile
der beiden Leitungskonzepte für Konzerngesellschaften und
Gemeinschaftsunternehmen von Interesse.
a) Argumente für das dualistische Leitungsmodell
Für das dualistische Leitungsmodell spricht auch auf diesem Einsatzgebiet der
bekannte und bewährte Regelungsrahmen der §§ 76 ff., 95 ff. AktG, der mit nur
geringfügigen Modifikationen auch auf die (Tochter-/JV-)SE Anwendung findet, §§
15 ff. SEAG. Ferner spricht für das dualistische Modell die weit gehende
Trennung von Geschäftsführung und Überwachung.
b) Argumente für das monistische Leitungsmodell
Das monistische Leitungsmodell (Artt. 43 ff. SE-VO, §§ 20 ff. SEAG) zeichnet
sich im Vergleich mit dem dualistischen Modell durch einen größeren
satzungsmäßigen Gestaltungsspielraum aus. So kann die grundsätzliche
Weisungsabhängigkeit der geschäftsführenden Direktoren (gD) eingeschränkt oder
näher ausgestaltet werden, § 44 Abs. 2 SEAG. Ebenfalls modellierbar ist der
Grundsatz der freien Abberufbarkeit der gD, § 40 Abs. 5 SEAG. Ferner können bei
der Besetzung des Verwaltungsrats und der gD personelle Überschneidungen
gefördert oder aber vermieden werden. Verwaltungsräte können zu gD bestellt
werden (und umgekehrt), sofern die Mehrheit des Verwaltungsrats weiterhin aus
nicht geschäftsführenden Mitgliedern besteht, § 40 Abs. 1 Satz 2 SEAG. Ferner
kann - was gerade bei der Tochter-/JV-SE von Interesse ist - die Zahl der
Organmitglieder stark reduziert werden. Grds. genügt ein einziger gD, § 40 Abs.
1 Satz 1 SEAG. „Nur“ falls die Gesellschaft mitbestimmt ist, muss sie mindestens
zwei gD haben. Der gD kann zugleich Vorsitzender des Verwaltungsrats sein. Auch
der Verwaltungsrat der „kleinen SE“ mit einem Grundkapital von weniger als Euro
3 Mio., das bei Konzern- und JV-Gesellschaften entsprechend gestaltbar ist, kann
aus nur einer einzigen Person bestehen. Allerdings schließt § 40 Abs. 1 Satz 2
SEAG aus, dass eine einzige (natürliche) Person sowohl den Verwaltungsrat
konstituiert als auch alleiniger gD ist. Die Minimalbesetzung der Tochter-/JV-SE
mit einem Verwaltungsrat und einem gD ist hingegen möglich.
c) Möglichkeit des „Modellwechsels“
Die Wahl des Leitungsmodells erfolgt durch die Satzung. Die einmal getroffene
Entscheidung kann durch eine Änderung der Satzung revidiert werden. Die
Fehlerkorrektur bei der Wahl eines unpassenden Leitungsmodells ist daher ebenso
möglich wie eine Anpassung an veränderte Verhältnisse. Eine „Beibehaltungsfrist“
sieht das SE-Recht nicht vor.
2. Wahl des Leitungsmodells bei der Tochter-SE
Bei der konzernabhängigen Tochter-SE besteht in der Regel kein Bedarf nach einem
gemäß § 76 Abs. 1 AktG eigenverantwortlich handelnden Vorstand. Das monistische
Modell mit einem - gegebenenfalls einzigen - Verwaltungsratsmitglied und einem
weisungsabhängigen gD ist den Bedürfnissen einer Konzerngesellschaft besser
angepasst als das aktienrechtlich-dualistische Modell. Die SE ermöglicht daher
eher als die AG eine konzernadäquate Leitungsstruktur. Die aufwändige
„Hilfskonstruktion“ des Beherrschungsvertrags zur Überbrückung der
Weisungsunabhängigkeit des Vorstandes ist entbehrlich. Dieser Vorteil gilt
allerdings „nur“ im Vergleich mit der AG, nicht hingegen gegenüber der GmbH, die
bereits nach ihrem Regelstatut monistisch strukturiert ist. Ungeachtet der
Vorzüge des monistischen Modells für die SE als Konzerngesellschaft kann es auch
hier empfehlenswert sein, für das dualistische System zu optieren. Dies ist
insbesondere dann zu erwägen, wenn die Tochter-SE mitbestimmt ist, da dann
Arbeitnehmervertreter im Verwaltungsrat vertreten sind, § 23 Abs. 2 SEAG, § 35
Abs. 2 SEBG. Die Arbeitnehmervertreter nehmen - anders als im dualistischen
System - nicht nur Aufsichts-, sondern auch Leitungsaufgaben wahr. Dies dürfte
sowohl unternehmensseitig als auch häufig den Arbeitnehmervertretern unerwünscht
sein. Hat die Tochter-SE nicht nur einen Hauptaktionär, sondern auch
Minderheitsgesellschafter, so kann dies gleichfalls für das dualistische System
sprechen. Eine Überwachung der Geschäftsleitung durch den Aufsichtsrat als
eigenständiges Organ mag hier im Interesse der Minderheitsgesellschafter liegen.
Ferner können gesetzliche Vorschriften das dualistische System fordern. So sieht
bspw. § 156 Abs. 1 VAG vor, dass eine Versicherungsaktiengesellschaft zwei
Vorstandsmitglieder und einen Aufsichtsrat hat. Es ist fraglich, ob die Wahl des
monistischen Systems hiermit vereinbar wäre.
3. Wahl des Leitungsmodells bei der JV-SE
Auch bei Joint Ventures ist die Möglichkeit der Wahl des Leitungsmodells ein
Rechtsformvorteil der SE. Die JV-Partner werden in der Regel einen unmittelbaren
Einfluss auf die Geschäftsführung der Gesellschaft wünschen. Vorbehaltlich der
soeben erwähnten mitbestimmungsrechtlichen oder sonstigen gesetzlichen
Hindernisse besteht daher auch bei der JV-SE eine Tendenz zum monistischen
Modell.
IV. Die Höhe der „laufenden Betriebskosten“ der Tochter- und JV-SE
Die Eignung der SE als Tochter- und
Gemeinschaftsunternehmen wird ferner durch die Höhe der laufenden materiellen
und administrativen Rechtsformkosten bestimmt.
1. Ausgangspunkt: Behandlung der SE wie eine AG nationalen Rechts
Nach Art. 10 SE-VO finden auf die SE grds. die Vorschriften ihres
Sitzstaatsrechts Anwendung. Bereits der Vergleich der Zahl der Vorschriften der
SE-VO mit derjenigen des AktG macht deutlich, dass der Umfang dieser Verweisung
erheblich ist. Die Unterschiede zwischen der AG und der SE sind daher nicht
grundsätzlicher Natur. Sehr wohl gibt es aber Unterschiede in den Einzelheiten.
2. Kostenrelevante Rechtsformaspekte
Auf einen wesentlichen Aspekt – die Wahl der Leitungsstruktur – wurde bereits
eingegangen. Ferner sei auf folgende Punkte hingewiesen:
-
Erhöhter Mindestkapitalbedarf
der
SE: Euro 120.000,00 (Art. 4 Abs. 2 SE-VO); hingegen Euro 50.000,00 bei der
AG (§ 7 AktG).
-
Erhöhter Compliance-Aufwand durch
die unübersichtliche SE-Rechtsquellenstruktur; ungewisse Qualität der
„SE-Rechtspflege“ durch den EU-Gesetzgeber.
-
Längere Amtszeiten der SE-Organe
- bis zu sechs Jahre - sind möglich.
-
Abgemilderte Satzungsstrenge bei
der SE: Beschlussfähigkeit der Organe ist freier gestaltbar (§ 108 Abs. 2
Satz 3 AktG gilt nicht); starre Größenvorgaben für den Aufsichtsrat nach § 7
MitbestG gelten nicht, die Größe des Aufsichtsrats bestimmt die Satzung. §
17 SEAG fordert nur Teilbarkeit durch drei und Einhaltung von Höchstgrenzen,
aber keine Mindestgrenzen. Diese Möglichkeit zur „Schrumpfung des
Aufsichtsrats“ hat die Allianz SE genutzt. Schließlich gibt es bei dem
monistischem System, wie bereits erwähnt, erhebliche Gestaltungsfreiheit
bzgl. der Größe des Verwaltungsrats, seiner Binnenstruktur und des
Verhältnisses zu den gD.
-
Hauptversammlung: Es gelten weitgehend die Vorschriften des Sitzstaats der
SE, Art. 53 SE-VO. Bei der deutschen Tochter-SE sind mithin
Universalversammlungen (§ 121 Abs. 6 AktG) möglich. Da die ordentliche
Hauptversammlung (HV) innerhalb von sechs Monaten nach Geschäftsjahresende
stattfinden muss, Art. 54 Abs. 1 Satz 1 SE-VO, ist eine zügige
HV-Vorbereitung (einschließlich Prüfung und Feststellung des
Jahresabschlusses) erforderlich. Beschlüsse werden von der HV in der Regel
mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst, Art. 57 SE-VO. Für Satzungsänderungen
genügt grds. eine Mehrheit von 2/3 der abgegebenen Stimmen, Art. 59 SE-VO, §
51 SEAG. Dies ist vor allem bei JV-SEs zu beachten. Die Anfechtung von
HV-Beschlüssen ist nach Maßgabe des Sitzstaatsrechts möglich. Dieses Risiko
ist aber bei Tochter-/JV-SEs in der Regel von geringer Bedeutung als bei der
börsennotierten Konzernmutter.
-
Rechnungslegung und Publizität: Art. 61 SE-VO verweist hinsichtlich der
Aufstellung des Jahres- und des Konzernabschlusses, der Prüfung und
Offenlegung umfassend auf das Recht des Sitzstaates der Tochter-SE.
-
Konzernrecht: Die SE-VO spricht das Konzernrecht nicht an. Der deutsche
Gesetzgeber geht, wie § 49 SEAG zeigt, von der Geltung der §§ 291 ff. AktG
aus. Bei der dualistisch strukturierten Tochter-/JV-SE sind diese
Vorschriften (Vertragskonzernrecht) bzw. die §§ 311 ff. AktG (faktischer
Konzern) ohne Besonderheiten anwendbar. Bei der „monistischen SE“ sind die
gD Adressat des Weisungsrechts, obwohl sie selbst keine Organe sind, § 49
SEAG.
V. Die Tochter-SE bei konzerninterner Reorganisation
Nachfolgend werden die folgende Fällen näher betrachtet:
-
Sitzverlegung – national und EU-grenzüberschreitend;
-
Verschmelzung - national und EU-grenzüberschreitend;
-
Vertiefung der Konzernstruktur durch die Errichtung weiterer
Konzernstufen;
-
Abflachung der Konzernstruktur durch die Beseitigung von Konzernstufen.
1. Sitzverlegung
a) Die Sitzverlegung einer inlandsansässigen Tochter-SE im Inland
Nach § 2 SEAG, der - anders als § 5 Abs. 2 AktG - die Identität von
Satzungssitz und Ort der Hauptverwaltung vorschreibt, ist die
Inlandssitzverlegung der SE von größerer praktischer Bedeutung als bei der
AG. Das SE-Sitzverlegungsregime der Art. 8 SE-VO, §§ 12 ff. SEAG, findet auf
die Inlandssitzverlegung jedoch keine Anwendung, da Art. 8 Abs. 1 SE-VO
ausdrücklich eine grenzüberschreitende Sitzverlegung fordert. Die
Inlandssitzverlegung erfolgt – wie bei der AG auch (vgl. § 45 AktG) – durch
schlichte Satzungsänderung, Artt. 9 Abs. 1 lit. c ii), 10 SE-VO.
b) Sitzverlegung einer inlandsansässigen Tochter-SE in das EU-Ausland
(„Wegzug“)
Die SE-VO sieht „nur“ die Sitzverlegung in das EU-Ausland vor. Eine
Sitzverlegung in einen Drittstaat ist (auch) mit der SE nicht möglich, Art.
7 Satz 1 SE-VO. Die Einzelheiten des Sitzverlegungsverfahrens regelt Art. 8
SE-VO. Hervorgehoben sei nur, dass die Sitzverlegung von der
Hauptversammlung beschlossen werden muss. Bei Vorhandensein von
Minderheitsaktionären besteht daher das Risiko der Beschlussanfechtung.
Demgegenüber sieht Art. 8 SE-VO keine Neuverhandlung der
Arbeitnehmerbeteiligung vor. Daraus folgt, dass der Wegzug in das EU-Ausland
auch dann keine Neuverhandlung erfordert, wenn die SE bereits im Inland
mitbestimmt war. Die ausverhandelte Beteiligungslösung (§ 21 SEBG) ist
„wegzugsfest“.
c) Der Zuzug einer EU-auslandsansässigen Tochter-SE
Auch die Sitzverlegung einer auslandsansässigen Tochter-SE in das Inland
unterliegt dem Art. 8 SE-VO. Die §§ 12 ff. SEAG gelten nach § 1 SEAG
hingegen nicht. Da die wesentlichen Verfahrensschritte und Elemente der
Sitzverlegung bereits in der SE-VO geregelt sind, entspricht der Ablauf und
administrative Aufwand des Zuzuges prinzipiell dem Wegzugsfall.
2. Verschmelzung
a) Inlandsverschmelzung einer Tochter-SE
Das SE-Verschmelzungsregime (Artt. 2 Abs. 1, 17 ff. SE-VO und §§ 5 ff. SEAG)
findet auf Inlandsverschmelzungen keine Anwendung, da das von der SE-VO
geforderte Mehrstaatlichkeitskriterium nicht erfüllt ist. Über Art. 15 Abs.
1 bzw. Art. 9 Abs. 1 lit. c ii) SE-VO findet das Umwandlungsgesetz (§§ 2
ff., 60 ff. UmwG) Anwendung. Die Tochter-SE kann bei der Verschmelzung
sowohl übertragender als auch aufnehmender Rechtsträger sein.
b) Die „Hinausverschmelzung“ einer inlandsansässigen Tochter-SE
Ist der aufnehmende Rechtsträger seinerseits eine (Tochter-)SE, so finden
auf Grund des Art. 3 Abs. 1 SE-VO die Artt. 2 Abs. 1, 17 ff. SE-VO
Anwendung. Auch eine SE kann sich daher - aktiv wie passiv - an
Verschmelzungen nach der SE-VO beteiligen. Deren Regeln sind allerdings
insoweit unpassend, als auch bei der Verschmelzung zur Aufnahme die
aufnehmende Tochter-SE nochmals die Rechtsform der SE annimmt, Art. 17 Abs.
2 Satz 2, 29 Abs. 1 lit. d SE-VO. Im Wege einer teleologischen Reduktion der
Vorschriften dürfte daher die „Umwandlung“ der aufnehmenden SE in eine „neue
SE“ unterbleiben.
c) „Hineinverschmelzung“ einer auslandsansässigen Tochter-SE oder AG
Die vorstehenden Überlegungen zur Hinausverschmelzung gelten im Fall der
Hineinverschmelzung entsprechend. Auch in diese Fall kann das
SE-Verschmelzungsregime ungeachtet des Umstands genutzt werden, dass die
aufnehmende Gesellschaft bereits eine SE ist.
d) Verschmelzung nach den „Sevic-Grundsätzen“ oder der Verschm-RL
Der EuGH hat in seinem „Sevic-Urteil“ festgestellt, dass die Beschränkung
des deutschen UmwG auf die Umwandlung von Rechtsträgern mit Sitz im Inland
(vgl. § 1 UmwG) mit dem primären Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist. Das
Urteil ist zu dem Fall einer „Hineinverschmelzung“ in die Bundesrepublik
ergangen. Zur „Hinausverschmelzung“ nimmt es nicht Stellung. Nach den
Urteilsgründen ist allerdings nicht zu erwarten, dass der EuGH in einem
Wegzugsfall anders entscheiden würde. Dem Grunde nach muss also eine
grenzüberschreitende Verschmelzung – unabhängig von der
Verschmelzungsrichtung – unter Berufung auf die Grundfreiheiten des
EU-Vertrages möglich sein. Da der EuGH in seinem Urteil keine Einzelheiten
des Verschmelzungsverfahrens geregelt hat, bleibt auch nach „Sevic“ das
anwendbare Recht und die praktische Handhabung einer
„EU-Primärrechts-Verschmelzung“ mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Für
die Praxis – auch der SE – begründet es keinen rechtssicheren
Verschmelzungsweg. Ein alternatives Verschmelzungsregime ist von den
EU-Staaten durch die Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen
Verschmelzungsrichtlinie (Verschm-RL) zu schaffen, die bis Ende 2007
umzusetzen ist. Der deutsche Gesetzgeber hat schnell reagiert. Ein Entwurf
eines Gesetzes zur Anpassung des UmwG (2. UmwÄndG), mit dem der
gesellschaftsrechtliche Teil der Richtlinie umgesetzt werden sollen, liegt
bereits vor. Auch die (Tochter-/JV-)SE wird dieses Verschmelzungsregime
nutzen können. Dies ist deshalb von Interesse, da die Regelung der
Arbeitnehmerbeteiligung in der Verschm-RL liberaler ist als diejenige durch
SE-RL bzw. SEBG.
3. „Vertiefung“ der Konzernstruktur
Hierunter wird die Eignung der SE verstanden, weitere Konzernstufen im
Inland oder im EU-Ausland zu bilden. Verschiedene Gründungswege sind
denkbar:
a) Die „(Ur-)Enkel-SE-Gründung“ nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO
Es wurde bereits erwähnt, dass Art. 3 Abs. 2 SE-VO keine Beschränkung der
Zahl der Gründungen vorsieht. Die Vorschrift lässt ferner die Schaffung
drei- oder mehrstufiger SE-Strukturen zu. Die Ausgründung muss allerdings
„entlang der Konzernhierarchie“ erfolgen, d. h. die jeweils übergeordnete
Gesellschaft muss zuvor selbst die Rechtsform der SE angenommen haben. Nicht
erforderlich ist, dass die Konzernmuttergesellschaft selbst eine SE ist.
Nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO ist ferner nicht nur eine „nationale Ausgründung“,
sondern auch die Gründung einer Tochter- bzw. Enkel-SE in einem anderen
EU-Staat als demjenigen der ausgründenden Muttergesellschaft möglich.
b) Alternative Gründungswege?
Angesichts der an relativ niedrige Voraussetzungen angeknüpften Ausgründung
nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO besteht im SE-Konzern kein dringender Bedarf nach
alternativen Gründungswegen. Eine gleichwohl nahe liegende Alternative ist
die Ausgliederung nach dem UmwG. Die Grundfrage ist, ob dieses Gesetz,
jedenfalls soweit es die Ausgliederung regelt, überhaupt Anwendung findet.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass dies (noch) nicht gesichert ist.
Aber auch wenn man von der Möglichkeit der Ausgliederung ausgeht, so ist
diese nur in dem durch das UmwG gesteckten Rahmen möglich.
EU-grenzüberschreitende Ausgliederungen sind dort nicht vorgesehen. Die
Verschm-RL und das 2. UmwÄndG ändern daran nichts.
4. Die „Abflachung“ der Konzernstruktur
Hierunter wird die Beseitigung nicht mehr gewünschter Konzernstufen – ohne
Auflösung und Liquidation – verstanden. Dies kann durch Verschmelzung der
Tochter- auf die Muttergesellschaft und umgekehrt („up- bzw.
down-stream-merger“) erfolgen. Zu unterscheiden ist hierbei die
„Inlandsverschmelzung“ und die „EU-Verschmelzung“:
a) Die Inlandsverschmelzung
Sind sowohl die Muttergesellschaft (SE oder nationale Rechtsform) als auch
die Tochter-SE im Inland ansässig, so ist die Verschmelzung der
Tochtergesellschaft auf die Muttergesellschaft – und umgekehrt – nach den
Vorschriften des UmwG voraussichtlich möglich. Das
SE-VO-Verschmelzungsregime findet hingegen keine Anwendung, da nach wohl
überwiegender und zutreffender Auffassung auch bei der Beteiligung einer SE
das Mehrstaatlichkeitserfordernis des Art. 2 Abs. 1 SE-VO zu beachten ist.
Die Anwendbarkeit der Verschmelzungsregeln des UmwG ist durch die Erwägung
gerechtfertigt, dass es keinen Sinn machen würde, internationale
Verschmelzungen unter Beteiligung von SEs zuzulassen, während hingegen die
Inlandsverschmelzung mangels Regelung in der SE-VO als nicht statthaft
angesehen würde. Die Inlandsverschmelzung einer Tochter-SE ist daher mit dem
gleichen gesellschaftsrechtlichen Aufwand verbunden wie die Verschmelzung
einer Kapitalgesellschaft (rein) nationaler Rechtsform.
b) Die EU-grenzüberschreitende Verschmelzung
Ist die Tochter-SE im EU-Ausland ansässig, so finden im Rahmen eines
up-stream-mergers die Artt. 2 Abs. 1, 17 ff. SE-VO und §§ 5 ff. SEAG
unabhängig davon Anwendung, ob die deutsche Muttergesellschaft eine AG
nationalen Rechts, die im Zuge der Verschmelzung zur SE wird („Fall Allianz
SE“), oder bereits eine SE ist. Letzteres folgt, was bereits erwähnt wurde,
aus Art. 3 Abs. 1 SE-VO. Ein down-stream-merger der Mutter-AG/-SE auf die
Tochter-SE ist nach den Artt. 2 Abs. 1, 17 ff. SE-VO, §§ 5 ff. SEAG,
gleichfalls möglich, sofern das Mehrstaatlichkeitserfordernis erfüllt ist.
Alternativ dürfte – nach Anpassung des UmwG an die Verschm-RL – eine
Verschmelzung nach dem UmwG n. F. möglich sein.
5. „(Re-)Nationalisierung“ der Tochter-SE
a) Der Formwechsel der SE in eine AG
Der Formwechsel einer SE in eine AG - die SE-VO spricht von „Umwandlung“ -
ist durch Beschluss ihrer HV möglich, Art. 66 Abs. 6 Satz 1 SE-VO.
Allerdings ist eine „Mindestwartefrist“ von in der Regel zwei Jahren seit
der Eintragung der (Tochter-)SE einzuhalten. Eine beliebige Wahl des
Gesellschaftsstatuts der AG ist hierbei nicht möglich. Vielmehr unterliegt
diese dem Recht ihres Sitzstaats, Art. 66 Abs. 1 Satz 1 SE-VO. Der
Formwechsel nach Art. 66 SE-VO ist – wie der Formwechsel nach dem UmwG (vgl.
§ 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG) - identitätswahrend, Art. 66 Abs. 2 SE-VO. Das
Verfahren ähnelt dem Formwechsel einer AG in die Rechtsform der SE gemäß
Art. 37 SE-VO. Durch den Übergang in die Rechtsform der AG regelt sich die
Arbeitnehmerbeteiligung nach dem Sitzstaatsrecht, Art. 66 Abs. 1 Satz 1
SE-VO.
b) Formwechsel in eine Kapital- oder Personengesellschaft anderer
Rechtsform?
Der Formwechsel in eine andere Kapitalgesellschaftsform oder in eine
Personengesellschaft wird durch die SE-VO nicht geregelt. Fraglich ist, ob
Art. 66 SE-VO solche Formwechsel ausschließt. Eine Exklusivität wird zum
Teil abgelehnt und über Art. 9 Abs. 1 lit. c ii) SE-VO das nationale
Umwandlungsrecht für anwendbar erklärt. Hierfür spricht, dass Art. 66 SE-VO
keine Ausschließlichkeit des „AG-Formwechsels“ anordnet. Andererseits liegt
angesichts der detaillierten Regelung des Formwechsels in die AG und des
Schweigens des Gesetzes zu anderen Formen der „Rückumwandlung“ der
gegenteilige Schluss ebenso nahe. Bis zu einer Klärung dieser Frage durch
den EuGH kann daher ein Formwechsel in eine „Nicht-AG“ nur nach vorheriger
Abstimmung mit dem Handelsregister in Angriff genommen werden. Ergeben sich
hierbei Bedenken, so kann der Formwechsel in die Zielrechtsform auch im Wege
einer „Formwechselstafette“ durch (i) Formwechsel nach Art. 66 SE-VO in eine
AG mit (ii) nachfolgendem Formwechsel nach dem UmwG bewerkstelligt werden.
Auch hier muss vor dem ersten Formwechsel die Zweijahresfrist des Art. 66
Abs. 1 Satz 2 SE-VO erfüllt sein. Zwischen den beiden Formwechseln muss
hingegen keine weitere Wartezeit liegen.
VI. Die JV-SE bei Beendigung der gemeinsamen Aktivitäten
1. Veräußerung des Joint Venture an einen Partner oder an einen Dritten
a) Veräußerung der Vermögensgegenstände (asset deal)
Rechtsformspezifische Besonderheiten der (JV-)SE sind hier nicht
ersichtlich.
b) Veräußerung der Anteile an der JV-SE (share deal)
Da Art. 5 SE-VO auf die im Inland ansässige SE die Vorschriften des AktG für
ergänzend anwendbar erklärt, haben „Anteile“ an der SE die gleiche
rechtliche Qualität wie Aktien einer AG. Ein Vorzug der SE im Vergleich mit
der GmbH als häufiger JV-Rechtsform ist daher die leichte und kostengünstige
Anteilsübertragung. Verglichen mit der AG nationalen Rechts gibt es
demgegenüber weder Vor- noch Nachteile. Wie bei der AG lässt sich das Risiko
abredewidriger Anteilsveräußerungen durch einen der JV-Partner durch die
Vinkulierung der Aktien (§ 68 Abs. 2 AktG) begrenzen.
2. Sonstige Wege der Beendigung
a) Auflösung, Liquidation und Insolvenz der JV-SE
Auf diese Formen der Beendigung finden nach Art. 63 SE-VO die Vorschriften
des Sitzstaatsrechts Anwendung. Die JV-SE ist der AG nationalen Rechts
gleichgestellt.
b) Aufspaltung der JV-SE
Die SE-VO enthält keine Vorschriften über die Aufspaltung einer (JV-)SE.
Ihre „Spaltbarkeit“ entscheidet sich daher an der bereits in anderem
Zusammenhang angesprochenen Frage, ob auf die SE über die Artt. 9 Abs. 1
lit. c ii), 10 SE-VO die §§ 123 ff. UmwG Anwendung finden. Die wohl
überwiegende, aber nicht unumstrittene Auffassung bejaht die Anwendbarkeit
der nationalen (Auf-)Spaltungsvorschriften. Ferner dürfte es ebenfalls
überwiegende Meinung sein, dass eine Aufspaltung der SE in Gesellschaften
nationaler Rechtsform zulässig ist. Für die Anwendbarkeit der
Spaltungsvorschriften des UmwG spricht, dass – anders als hinsichtlich des
Formwechsels (Art. 66 SE-VO) – die SE-VO keine ggf. beschränkende Regelung
zur Spaltung enthält. Die Verweisung auf das nationale Recht bringt es mit
sich, dass die Aufspaltung einer inlandsansässigen SE nur in Gesellschaften
deutscher Rechtsform möglich ist. Grenzüberschreitende Spaltungen sind, auch
nach dem 2. UmwÄndG, nicht möglich. Da die vorgenannten Erwägungen bislang
nicht durch Rechtsprechung abgesichert sind, kann eine Spaltung nur in
Abstimmung mit dem Handelsregister in Angriff genommen werden.
VII. Ergebnisse
1. Tochter-/JV-SE-Gründungen sind zum Teil - aber nicht notwendig -
komplexer als bei der AG. Die gesellschaftsrechtlichen Erschwernisse sind
aber nicht derart gravierend, dass die SE als Konzerntochter oder
Gemeinschaftsunternehmen unattraktiv wäre. 2. Die laufenden Rechtsformkosten der SE liegen im Wesentlichen auf
AG-Niveau. Allerdings kann durch die Wahl des monistischen Systems der
„Organ-Aufwand“ deutlich reduziert werden. Die „kleine (Tochter-/JV-)SE“
kommt im monistischen System mit einem Verwaltungsrat und einem gD aus. Der
- auch der mitbestimmte - Aufsichtsrat des dualistischen Systems kann im
Vergleich mit der AG sowohl verkleinert als auch europäisiert werden. Bei
Umstellung der nachgeordneten Konzerngesellschaften auf die Rechtsform der
SE ergeben sich Compliance-Synergieeffekte. Diese Effekte werden allerdings
durch das unübersichtliche SE-Recht abgeschwächt. 3. Der erste Hauptvorteil der Tochter-/JV-SE ist die Möglichkeit der Wahl
des Leitungsmodells. In der Regel ist sowohl bei Konzerngesellschaften als
auch bei Gemeinschaftsunternehmen das monistische System vorzugswürdig. Die
nach dem SEBG mögliche Mitbestimmung des Verwaltungsrats ist hierbei jedoch
im Einzelfall zu bedenken. Der zweite Hauptvorteil ist die
gemeinschaftsweite Mobilität der SE durch Sitzverlegung und Verschmelzung.
Dies führt zu einer hohen Reorganisationseignung der SE, was gerade bei
Konzerngesellschaften von besonderem Interesse ist. Die auf der Ebene der
Muttergesellschaft häufig gegebenen Anfechtungsrisiken fallen hier weg oder
sind von geringerer Bedeutung. Die künftige Verschmelzung nach der
Verschm-RL/dem UmwG n. F. neutralisiert diesen Vorteil der SE nicht, zumal
diese selbst das alternative Verschmelzungsregime wird nutzen können. 4. Die SE als Tochter- bzw. JV-Gesellschaft ist nach alledem per
gesellschaftsrechtlichem Saldo der AG häufig überlegen. Der im Einzelfall
ggf. höhere Gründungsaufwand wird durch die Möglichkeit der Wahl der
Leitungsstruktur und – vor allem – die hohe Reorganisationseignung der SE
überkompensiert. Die SE ist somit eine ernst zu nehmende
Rechtsformalternative. Dies gilt nicht nur für Großkonzerne, sondern auch
und gerade für mittelständische Konzernstrukturen, bei denen eine
Mitbestimmung im Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan der SE ggf. nicht
erforderlich ist. Bei EU-grenzüberschreitenden Gemeinschaftsprojekten ist
die SE auch für die öffentliche Hand interessant.
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