Rechtsanwalt Dr. Erich Waclawik*
BGH und COVID-19: Keine
weitere Zeit für Anwälte?
Sowohl im zivilprozessualen Revisions-,
Nichtzulassungs- und Rechtsbeschwerdeverfahren als auch im Berufungsverfahren
und dem Verfahren nach dem FamFG sind die Fristen für die Begründung des
Rechtsmittels verlängerbar. Die Verlängerung ist mit der Zustimmung des
Rechtsmittelgegners möglich, aber unter bestimmten Voraussetzungen und in
beschränktem Umfang auch ohne dessen Einwilligung. Der Beitrag geht den Fragen
nach, in welchem Verhältnis diese Fristverlängerungsmöglichkeiten zueinander
stehen und ob die COVID-19-Pandemie auch in diesem Bereich des Verfahrensrechts
Wirkungen entfaltet.
I. Einleitung
Rechtsmittelbegründungsfristen und den
Vorschriften über deren Verlängerung haftet nicht der Ruf einer hochspannenden
Rechtsmaterie an. Auch der Umfang der Befassung mit den einschlägigen Normen
ist in der Kommentarliteratur durchweg auf das Nötigste beschränkt, zumal viel in
den einschlägigen Normen selbst steht. Alles jedoch nicht, sodass Langeweile
auch bei Fristverlängerungen oder bei der Lektüre von Aufsätzen hierzu nicht
aufkommen muss. Das ist vor allem dann der Fall, wenn der Leser selbst forensisch
tätiger Rechtsanwalt ist und als Folge der Übernahme von Prozessmandaten Fristenverantwortung
trägt. Gerade dann sind Fristen und die Möglichkeit zu deren vorhersehbaren Verlängerung
stets wichtig, mitunter geradezu existenziell. Dies gilt ganz allgemein. Erst
recht in Zeiten der COVID-19-Pandemie mit dem allgegenwärtigen Risiko, dass der
Mandant, man selbst, der Prozessbevollmächtigte der Vorinstanz oder der Prozessbevollmächtigte
des Gegners erkrankt und daher bis auf Weiteres nicht handlungsfähig oder
greifbar ist, ist der Prozessanwalt für jede (vorhersehbare) Möglichkeit der Verlängerung
von Begründungsfristen dankbar. Die Möglichkeit der Fristverlängerung vermindert
das vorgenannte Risiko, schafft Freiheitsgrade bei der Projektplanung und steigert
die Fähigkeit zur Übernahme weiterer Mandate.
Bei der Verlängerung von Rechtsmittelfristen
können Verlängerungen mit Einwilligung des Gegners („im gegnerischen
Einverständnis“) und solche ohne diese Einwilligung („ohne gegnerisches
Einverständnis“) unterschieden werden. Ein Beispiel hierfür ist § 551 II ZPO
über die Verlängerung der Frist zur Begründung der Revision. Diese beträgt nach
dem Gesetz zwei Monate, wobei diese Frist mit der Zustellung des in
vollständiger Form abgefassten Berufungsurteils beginnt, spätestens aber mit
dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung, § 551 II 2 und 3 ZPO.
Nach Satz 5 der Vorschrift kann „die
Frist“ von dem Vorsitzenden auf Antrag verlängert werden, wenn der Gegner
einwilligt. Nach Satz 6 der Vorschrift kann ohne die Einwilligung des
Gegners „die Frist“ um bis zu zwei Monate verlängert werden, wenn nach der
freien Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung
nicht verzögert wird oder wenn der Revisionskläger erhebliche Gründe darlegt.
Der zweite Halbsatz des Satzes 6 ergänzt dies um die Aussage, dass die
Begründungsfrist um bis zu zwei Monate nach der Übersendung der Prozessakten
verlängert werden kann, wenn dem Revisionskläger innerhalb der regulären
Zweimonatsfrist die Akteneinsicht nicht für einen angemessenen Zeitraum gewährt
werden kann.
Dieses Fristenregime gilt kraft
Verweisungsvorschriften ferner für die Nichtzulassungsbeschwerde
(§ 544 IV 2 ZPO) und für die Rechtsbeschwerde sowohl nach
der ZPO (§ 575 II 3 ZPO) als auch nach dem FamFG (§ 71 II 3 FamFG),
mithin praktisch durchweg für das Zivilverfahren vor dem BGH. Auch im
Berufungsverfahren gilt Ähnliches; hierzu aber später. Zum Aufsatzthema wird
dies dadurch, dass das Verhältnis von Satz 5 ZPO zu Satz 6 des
§ 551 II ZPO durch das Gesetz nicht klar geregelt ist. Beide Sätze
stehen eng beieinander, sind aber nicht sprachlich miteinander verzahnt. Im
Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, wie es um dieses Verhältnis
bestellt ist.
II. Ein
Fall aus der höchstrichterlichen Praxis
Der Autor hat unlängst in einem
Revisionsverfahren vor dem I. Zivilsenat
des BGH einen auf § 551 II 6 Hs. 1 ZPO gestützten
Fristverlängerungsantrag gestellt. Die Begründungsfrist war zuvor nach
Satz 5 im gegnerischen Einverständnis bereits um zwei Monate verlängert
worden. Zur Begründung wurde angeführt,
„… beantrage ich, die derzeit bis zu dem 14.4.2020 laufende Frist zur Begründung
der Revision nach § 551 II 6 Hs. 1 ZPO um einen Monat zu verlängern.
Die
Sache ist derzeit in Bearbeitung, kann aber voraussichtlich innerhalb der
derzeit laufenden Begründungsfrist nicht mit dem Voranwalt und dem Mandanten
abgestimmt werden, zumal vor dem Hintergrund der Unwägbarkeiten der
Verfügbarkeit der Ansprechpartner angesichts der derzeitigen epidemiologischen
Lage. Ferner ist nach der bekannten Geschäftslage des Senats durch die begehrte
Fristverlängerung keine Verzögerung des Rechtsstreits zu besorgen.“
Dieser Antrag wurde von dem Vorsitzenden
des I. Zivilsenats mit folgender
Begründung zurückgewiesen:
„… wird der Antrag der Revisionsklägerin auf Verlängerung der Frist zur
Begründung der Revision abgelehnt, weil eine Verlängerung dieser (wie hier)
bereits um zwei Monate verlängerten Frist nur zulässig ist, wenn (was hier
nicht der Fall ist) der Gegner einwilligt (§ 551 II 5 ZPO) oder
dem Revisionskläger innerhalb dieser Frist Einsicht in die Prozessakten nicht
für einen angemessenen Zeitraum gewährt werden kann (§ 551 II 6
Hs. 2 ZPO). Das gilt unabhängig davon, ob die Frist zur Begründung der
Revision zuvor ohne (§ 551 II 6 Hs. 1 ZPO) oder (wie
hier) mit Einwilligung des Gegners um zwei Monate verlängert worden war. Ohne
Einwilligung des Gegners kann nach § 551 II 6 Hs. 1 ZPO
lediglich „die Frist“ – also allein die zwei Monate betragende Frist für
die Revisionsbegründung (§ 551 II 2 ZPO) und nicht etwa die mit
Einwilligung des Gegners verlängerte Frist (§ 551 II 5 ZPO) –
um bis zu zwei Monate verlängert werden. Eine über zwei Monate hinausgehende
Verlängerung der zwei Monate betragenden Revisionsbegründungsfrist ist ohne
Einwilligung des Gegners daher nach § 551 II 6 Hs. 1 ZPO
auch dann nicht möglich, wenn der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht
verzögert wird oder der Revisionskläger – wie hier die Revisionsklägerin
im Blick auf die Corona-Pandemie – erhebliche Gründe darlegt. Hierauf hat
der Vorsitzende den Prozessbevollmächtigten der Revisionsklägerin vorab
telefonisch hingewiesen; im Übrigen war diesem der Standpunkt des Vorsitzenden
bereits aus einem früheren Verfahren bekannt.“
Zu dem letzten Satz der Ablehnung sei
angemerkt, dass das in solchen Fällen wegen der Eilbedürftigkeit der
Angelegenheit erforderliche Telefonat tatsächlich stattfand, aber keine
Einigkeit über die unterschiedlichen Rechtsstandpunkte herbeiführte. Was den
„Standpunkt des Vorsitzenden“ und das „frühere Verfahren“ anbelangt, ist zu
ergänzen, dass es dort auf die entsprechend beantragte Fristverlängerung
letztlich nicht ankam, weil sich die überlassenen Gerichtsakten als
unvollständig erwiesen und daher die Begründungsfrist nach
§ 551 II 6 Hs. 2 ZPO zu verlängern war. Zu einer Ablehnung
und zu einer Begründung wie der obigen war es daher nicht gekommen; auch die
„Corona-Pandemie“ spielte als Gesichtspunkt noch keine Rolle.
Die referierte Ablehnung wurde, wie
ausdrücklich in § 551 II 6 ZPO bestimmt, von dem Senatsvorsitzenden
ausgesprochen. Eine „zentrale Fristverlängerungsstelle“ bei dem BGH sieht das Gesetz nicht vor, ebenso
wenig eine – allein schon in zeitlicher Hinsicht unpraktikable –
Remonstration des Revisionsklägers zum Senatsplenum. Der Senatsvorsitzende
entscheidet vielmehr allein nach seinem unanfechtbaren, pflichtgemäßen Ermessen[1]. Es könnte also bei dem BGH (derzeit) 13 verschiedene „Standpunkte des Vorsitzenden“ geben,
die mit den Vorsitzenden kommen und gehen. Ganz so schlimm ist nun der Alltag
in der Revisionsinstanz nicht; tatsächlich hätten indes nach den Erfahrungen
des Autors elf amtierende Vorsitzende dem Antrag ohne Weiteres entsprochen,
auch ohne das Pandemie-Argument. Zwei Vorsitzende hingegen nicht. Der Revisionsanwalt
lebt also nicht nur von seinen rechtlichen Fertigkeiten, sondern auch von der Kenntnis
der „lokalen“ Gepflogenheiten.
Betrachtet man die Ablehnung in sachlicher
Hinsicht, so zeigt deren Ausführlichkeit das auch sonst die Rechtsprechung des BGH durchziehende Bemühen, mit
ernsthafter Begründung zu dem richtigen Ergebnis zu gelangen. Der Antrag auf Verlängerung
der Revisionsbegründungsfrist wäre auch von dem betreffenden Senatsvorsitzenden
wegen des Vorliegens erheblicher Gründe – das Pandemie-Risiko wurde als
solcher anerkannt – bewilligt worden. Dem stand allerdings die Überzeugung
des Vorsitzenden entgegen, dass die beantragte Fristverlängerung „nicht geht“,
weil schon dem Grunde nach eine weitere Fristverlängerung ohne gegnerisches
Einverständnis ausscheidet, wenn die Frist zur Begründung der Revision bereits
zuvor im gegnerischen Einverständnis um zwei Monate verlängert worden war.
Die Unterschiede der beiden Rechtsstandpunkte
sind aus anwaltlicher Sicht erheblich. Auch nach der referierten strengen
Auffassung ist es weiterhin möglich, den Prozessgegner bei nahendem Fristablauf
und Schwierigkeiten mit der Fristwahrung um ein (weiteres) Einverständnis in
eine Verlängerung der Begründungsfrist zu bitten. Wird das Einverständnis des
Gegners erteilt, so ist die Begründungsfrist in dem Umfang des erteilten
Einverständnisses zu verlängern. Die Erteilung des Einverständnisses ist aber
im Voraus naturgemäß ungewiss und kann schon aus rein praktischen Gründen
scheitern, etwa an der abwesenheits- oder krankheitsbedingten Unerreichbarkeit
des Gegenanwalts. Es handelt sich damit um keine Alternative, auf die sich ein
pflichtbewusster Prozessanwalt verlassen dürfte. Sie spielt daher praktisch keine
Rolle. Demgegenüber eröffnet es dem (Revisions-)Anwalt eine erheblich bessere
Planbarkeit und Arbeitsmöglichkeit, wenn eine erstmalige Fristverlängerung im
gegnerischen Einverständnis eine Verlängerungsmöglichkeit von weiteren zwei
Monaten nach § 551 II 6 ZPO nicht „verbraucht“.
III. Die
Argumente
1. „Die
Frist“ – aber welche?
Die hier betrachtete Ablehnung der
begehrten Fristverlängerung stützt sich maßgeblich auf ein Argument: Mit „die
Frist“ iSd § 551 II 6 ZPO sei allein
die gesetzliche (unverlängerte) Begründungsfrist des § 551 II 2 ZPO
gemeint. Dafür spricht der systematische Zusammenhang der beiden Sätze
zueinander: Regelt Satz 2 die gesetzliche Begründungsfrist, so bestimmt – daran
anknüpfend – Satz 6 die Möglichkeiten der Verlängerung „dieser Frist“
ohne das Einverständnis des Gegners.
Dieses Argument ist jedoch brüchig. In
Satz 6 der Vorschrift steht nichts von „diese Frist“ oder gar von „die
Frist des Satzes 2“, sondern schlicht das Wortpaar „die Frist“. Das kann
man ebenso gut in dem Sinne verstehen, dass damit die gerade laufende
Begründungsfrist gemeint ist. Für dieses Verständnis spricht, dass auch die
Regelung in Satz 5 zur Fristverlängerung im gegnerischen Einverständnis in
gleicher Weise von „die Frist“ spricht. Es gibt daher keine spezifische, sprachliche
Bezugnahme des Satzes 6 zu der gesetzlichen Mindestbegründungsfrist nach
Satz 2. Wird aber nach Satz 5 im gegnerischen Einverständnis eine
bereits um zwei Monate verlängerte Revisionsbegründungsfrist nochmals um einen
weiteren Monat oder um den noch weiträumiger bewilligten Zeitraum verlängert,
so wird nicht „die Frist“ des Satzes 2 verlängert, sondern die bereits
erstmals verlängerte Begründungsfrist. Auch die der referierten Ablehnung
zugrunde liegende Auffassung zieht indes nicht in Zweifel, dass
Begründungsfristen im gegnerischen Einverständnis wiederholt verlängert werden
können und von dem Revisionsgericht auch verlängert werden müssen. Dies ist
Ausfluss des insoweit auch in dritter Instanz beachtlichen Dispositionsgrundsatzes,
wonach die Parteien die Verfügungsfreiheit über den Streitgegenstand besitzen[2].
Gründe für das Einverständnis des Gegners wird es stets geben, etwa
Vergleichsverhandlungen oder vorrangig betriebene Parallelverfahren. Das
Gericht bzw. den Vorsitzenden müssen diese Gründe jedoch nicht interessieren;
die Einwilligung trägt ihre Rechtfertigung in sich. Es genügt daher in dem
Fristverlängerungsantrag die Mitteilung, dass der Gegner eingewilligt hat[3].
Daher gibt es keine dem Vorsitzenden zugängliche Tatsachengrundlage, die eine
Ablehnung der Fristverlängerung tragen könnte. Die im gegnerischen
Einverständnis beantragte Fristverlängerung ist daher in dem beantragten Umfang
zu verfügen. Das „kann“ in § 551 II 5 ZPO ist daher ein
„Kompetenz-kann“, kein „Ermessens-kann“.
Wird eine Frist zur Revisionsbegründung
nach § 551 II 5 ZPO wiederholt verlängert, wird, wie bereits
erwähnt, nicht „die Frist“ nach § 551 II 2 ZPO verlängert,
sondern die jeweils laufende Begründungsfrist. Die hier in den Blick genommene
Auffassung kann nicht erklären, weshalb wiederholte Fristverlängerungen nach
Satz 5 möglich sind, eine ergänzende Fristverlängerung nach Satz 6
hingegen nicht. Richtig ist allein, dass eine Verlängerung einer bereits nach
Satz 6 um zwei Monate verlängerten Begründungsfrist nicht mit einer neuen
Begründung nochmals um weitere ein bis zwei Monate nach Satz 6 verlängert
werden kann. Dem steht entgegen, dass § 551 II 6 ZPO eine
Obergrenze der Fristverlängerung um zwei Monate ausdrücklich bestimmt („… um
bis zu zwei Monate …“)[4]. Um
diese Fallgestaltung geht es hier jedoch nicht.
2. Kein
konsumtives Verhältnis der Sätze 5 und 6
Die hier betrachtete Auffassung kann auch
nicht erklären, weshalb nach § 551 II 5 ZPO im gegnerischen
Einverständnis beantragte und bewilligte Fristverlängerungen die Möglichkeit
einer Fristverlängerung nach Satz 6 gleichsam „aufzehren“, obwohl beide
Sätze ein solches konsumtives Verhältnis nicht ansatzweise andeuten. Es stellt
sich die Frage, weshalb man ausgehend von diesem Verständnis als
Prozessbevollmächtigter des Revisionsklägers aus Anlass der Einlegung des
Rechtsmittels überhaupt die Mühe auf sich nehmen sollte, den gegnerischen
Prozessbevollmächtigten anzurufen oder per E-Mail zu kontaktieren und diesen um
ein Einverständnis in eine erstmalige Verlängerung der Begründungsfrist zu
bitten, wenn das gleiche Ergebnis nach § 551 II 6 ZPO durch
einen (ausreichend begründeten) Antrag ohne gegnerisches Einverständnis erreicht
werden kann.
In der Praxis bliebe dem
§ 551 II 5 ZPO der Anwendungsbereich wiederholt bewilligter Fristverlängerung
oder der Fristverlängerung im gegnerischen Einverständnis nach erstmaliger
Fristverlängerung ohne gegnerisches Einverständnis. Beides sind zwar mögliche,
in der Praxis aber die Ausnahme bildende Fälle. Für ein solches „Kleinreden“
des § 551 II 5 ZPO fehlt es aber ebenfalls an jedem Anhaltspunkt
im Gesetz.
Auch in den Gesetzesmaterialien zu
§ 551 II ZPO fehlen die Auslegung leitende Anhaltspunkte. Es
wird nur erkennbar, dass der Gesetzgeber bewusst die Möglichkeiten zur
Verlängerung der Begründungsfrist mit und ohne das Einverständnis des Gegners
geschaffen hat[5]. Reflexionen über das
Verhältnis dieser beiden Möglichkeiten zueinander findet man hingegen in den
Gesetzesmaterialien nicht. Die hier beanstandete Auffassung lässt sich daher auch
nicht durch eine historische Auslegung stützen.
3. Sinn
und Zweck des Fristverlängerungsregimes
Aus der Zusammenschau der Sätze 5 und
6 des § 551 II ZPO lässt sich zunächst erkennen, dass der
Revisionskläger nicht gehalten ist, sein Rechtsmittel innerhalb einer
unverlängerbaren gesetzlich bestimmten Frist zu begründen, sondern (auf
verschiedenen Wegen) eine Fristverlängerung erlangen kann. Diese Möglichkeit
dient nicht in erster Linie dem Revisionskläger selbst, sondern vor allem
seinem Prozessbevollmächtigten. Diesem soll die Möglichkeit gegeben werden, umfangreichen
Rechtsmitteln die nötige Bearbeitungszeit zu widmen und seiner Fristenplanung
mehr Flexibilität zu verschaffen. Neben der zeitlichen Entlastung des
Rechtsanwalts geht es damit auch (typisierend) um die Qualitätssicherung des
Arbeitsergebnisses, also der Revisionsbegründung[6].
Das erklärt, weshalb der
Prozessbevollmächtigte des Revisionsklägers nicht nur nach
§ 551 II 5 ZPO – gegebenenfalls auch wiederholt –
Fristverlängerungen im gegnerischen Einverständnis erhalten kann. In diesen
Fällen wird in der Regel nicht nur der Altruismus des Prozessgegners oder das
Interesse an einer möglichst guten gegnerischen Rechtsmittelbegründung für die
Einwilligung bestimmend sein, sondern vor allem auch eigennützige Motive des
Revisionsbeklagten, wie etwa das Schweben von Vergleichsgesprächen.
Besonders wichtig ist daher für den
Revisionskläger und seinen Prozessbevollmächtigten die
Fristverlängerungsmöglichkeit von bis zu zwei Monaten nach
§ 551 II 6 ZPO. Da in aller Regel auch eine zweimonatige
Fristverlängerung das Revisionsverfahren nicht messbar verzögert, hat es der Revisionskläger
bzw. sein Rechtsanwalt in der Hand, „aus eigenem Recht“ die erforderliche
weitere Bearbeitungszeit zu erlangen. Es ist nicht nur angesichts des unergiebigen
Wortlauts der Sätze 5 und 6, sondern auch unter teleologischem Blickwinkel
nicht ersichtlich, weshalb diese Möglichkeit deshalb nicht mehr gegeben sein
soll, weil der Revisionsbeklagte bereits in eine (erstmalige) Fristverlängerung
um zwei Monate eingewilligt hat. Insbesondere gibt es, wie bereits erwähnt,
keinen „konsumtiven Vorrang“ der Fristverlängerung im gegnerischen
Einverständnis nach Satz 5. Diese ist, wie ebenfalls bereits erwähnt,
keine rein den Interessen des Revisionsklägers dienende Fristerstreckung. In
aller Regel wird die Einwilligung von dem Rechtsmittelgegner deshalb erteilt
werden, weil auch dieser – aus welchen Gründen des Einzelfalls auch
immer – ein Interesse an einem späteren Fortgang des Revisionsverfahrens
hat.
Nimmt daher die Fristverlängerung im
gegnerischen Einverständnis dem Revisionskläger eine weitere Fristverlängerung
nach Satz 6, so wird diesem zugleich die Möglichkeit genommen, die
Bearbeitungsfrist nach seinem eigenen Interesse und seinen eigenen Bedürfnissen
nachzujustieren. Er ist bei dem nahenden Ablauf der erstmals verlängerten
Begründungsfrist allein darauf verwiesen, auf eine weitere gegnerische Einwilligung
in eine Fristverlängerung zu hoffen. Da sich, wie bereits erwähnt, der
Prozessbevollmächtigte des Revisionsklägers aus anwaltlicher Vorsicht nicht in
die Hände des Prozessgegners begeben darf, führt dies schon aus diesem Grund zu
einer Entwertung der Fristverlängerung im gegnerischen Einverständnis. Er muss
sich fragen, warum er sich die Mühe machen soll, den Gegner um eine
Fristverlängerung im gegnerischen Einverständnis zu bitten, wenn er das gleiche
Ergebnis durch einen Antrag gestützt auf § 551 II 6 ZPO erzielen
kann.
Auch dem Revisionsbeklagten entsteht durch
die Unabhängigkeit der Fristverlängerungen mit und ohne sein Einverständnis
kein Nachteil. Das Gesetz gibt ihm keinen Anlass zur Hoffnung, dass eine von
ihm erteilte Einwilligung in eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist
dem Revisionskläger zugleich die Möglichkeit einer weiteren Fristverlängerung
ohne sein Einverständnis nimmt. Will er, aus welchen Gründen auch immer, eine
möglichst beschleunigte Führung des Revisionsverfahrens durch den
Revisionskläger, steht es ihm frei, die erbetene Einwilligung in eine
erstmalige Verlängerung der Begründungsfrist nicht zu erteilen. Sodann sind der
Revisionskläger und sein Prozessbevollmächtigter gehalten, mit der Möglichkeit
der Fristverlängerung nach § 551 II 6 ZPO auszukommen.
4. Zwischenfazit
Festzuhalten ist damit, dass für einen
konsumtiven Vorrang des § 551 II 5 gegenüber
§ 551 II 6 ZPO außer einem ambivalenten Wortlautargument nichts
spricht. Alle anderen Gesichtspunkte sprechen vielmehr für die Gegenauffassung
der Unabhängigkeit der beiden Fristverlängerungsmöglichkeiten. Die
Fristverlängerung in dem Beispielsfall wurde daher zu Unrecht versagt. Die
Mehrheit der Vorsitzenden der Zivilsenate des BGH darf sich in ihrer entsprechenden Praxis der Verfahrensleitung
bestätigt fühlen[7].
IV. Rechtslage
in anderen Rechtsmittelverfahren
1. Nichtzulassungs-
und Rechtsbeschwerdeverfahren
Das vorstehend
herausgearbeitete Ergebnis gilt nicht nur für das von dem Berufungsgericht eröffnete
Revisionsverfahren selbst, sondern auch für das
– zahlenmäßig weit überwiegende – Verfahren der
Nichtzulassungsbeschwerde sowie ferner bei den Rechtsbeschwerden sowohl nach
der ZPO als auch nach dem FamFG. In jenen Verfahren wird, wie bereits erwähnt,
§ 551 II 5 und 6 ZPO jeweils für entsprechend anwendbar
erklärt. Gründe in jenen Verfahrensarten, das Verhältnis der verschiedenen
Fristverlängerungsmöglichkeiten anders zu sehen als in dem Revisionsverfahren,
sind nicht ersichtlich.
2. Berufungsverfahren
Einen näheren Blick verdienen die
Regelungen über die Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung, die
eine erheblich größere Breitenwirkung haben als die Rechtsmittelverfahren in
dritter Instanz. Auch in dem Berufungsverfahren beträgt die Frist zur
Begründung der Berufung zwei Monate. Diese beginnt mit der Zustellung des in
vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf
Monaten nach der Verkündung des Urteils, § 520 II 1 ZPO. Nach
§ 520 II 2 ZPO kann die Frist auf Antrag von dem Vorsitzenden
verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne die Einwilligung kann die
Frist um bis zu einen Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des
Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder
der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt, § 520 II 3 ZPO.
Die Ausgangslage der gesetzlichen
Begründungsfrist ist damit im Berufungsverfahren identisch mit derjenigen im
Revisionsverfahren. Zuständig für die Fristverlängerung ist auch hier der Senatsvorsitzende.
Die Fristverlängerung im gegnerischen Einverständnis ist in gleicher Weise vorgesehen.
Die Möglichkeit zur Verlängerung der Begründungsfrist ohne das Einverständnis
des Gegners ist ebenfalls dem Grunde nach vorgesehen, aber in zweifacher Hinsicht
abweichend geregelt: Zum einen kann die Frist zur Berufungsbegründung nicht um
zwei, sondern nur um einen Monat verlängert werden, zum anderen fehlt die in
§ 551 II 6 Hs. 6 ZPO geregelte Möglichkeit zur Verlängerung
der Begründungsfrist bei fehlenden Gerichtsakten. Im Berufungsverfahren behilft
man sich im Hinblick auf Letzteres mit der Möglichkeit des Berufungsklägers,
einen Antrag auf Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der
Berufungsbegründungsfrist zu stellen, wenn sein Prozessbevollmächtigter vor dem
Ablauf der nicht mehr verlängerbaren Frist einen Antrag auf Bewilligung von
Akteneinsicht gestellt hat und ihm diese ohne sein Verschulden nicht vor Fristablauf
gewährt wurde[8]. Beide Abweichungen sind
im Kern von der typisierenden Erwägung getragen, dass – anders als in der
dritten Instanz – zwischen erster und zweiter Instanz zumeist kein
Anwaltswechsel stattfindet und der Prozessbevollmächtigte bereits durch seine
Tätigkeit in erster Instanz mit dem Verfahren vertraut ist[9].
Weitgehend deckungsgleich sind auch die Formulierungen der beiden Sätze 2
und 3 des § 520 II ZPO; insbesondere sprechen beide von „der
Frist“, die verlängert werden kann.
Die oben zu § 551 II 5
und 6 ZPO angestellten Erwägungen zu dem Verhältnis der Fristverlängerung
mit und ohne die Einwilligung des Rechtsmittelgegners beanspruchen daher auch in
dem Berufungsverfahren Geltung. Auch hier kann daher die
Berufungsbegründungsfrist, die erstmals mit dem Einverständnis des
Berufungsbeklagten um einen (oder mehrere) Monate verlängert worden war, um einen
weiteren Monat verlängert werden, wenn einer der in
§ 520 II 3 ZPO genannten Gründe vorliegt. Umgekehrt kann
auch eine ohne das Einverständnis des Berufungsbeklagten verlängerte
Begründungsfrist mit dessen Einverständnis – auch wiederholt –
verlängert werden.
V. Besteht
Handlungsbedarf?
Mit dem geltenden Regime zur Verlängerung
von Rechtsmittelfristen kann die Anwaltschaft zwar leben, wenn man
– anders als in dem geschilderten Fall – nicht weiter Hand an die
Fristverlängerungs- und mithin Arbeitsmöglichkeiten des mit Rechtsmittelverfahren
befassten Rechtsanwalts legt. Gerade die aktuelle COVID-19-Pandemie bringt
jedoch latente Schwächen des geltenden Rechts verstärkt zum Vorschein.
1. Einheitliche
Handhabung
Für den Prozessanwalt ist nicht nur die
Möglichkeit der Verlängerung einer Rechtsmittelfrist von essentieller
Bedeutung, sondern auch deren Vorhersehbarkeit. Nur wenn die Möglichkeit einer
(weiteren) Fristverlängerung Wochen vor dem Fristablauf sicher feststeht, kann
der Rechtsanwalt hiervon ausgehen und seine Projektplanung daran ausrichten.
Eine zwar nach dem Gesetz mögliche, aber in der praktischen Handhabung
unsichere Fristverlängerungsmöglichkeit ist für den Prozessanwalt letztlich ohne
Wert. Reaktionsmöglichkeiten sind dann zum einen nur die Verminderung der Zahl
der angenommenen Mandate, also eine Kapazitätsanpassung nach unten. Dies hat
für den Rechtsanwalt Einkommenseinbußen und für den (potenziellen) Mandanten Einschränkungen
bei der Anwaltswahl zur Folge. Zum anderen kann der Rechtsanwalt versuchen, das
Problem knapper Fristen durch Aufstockung der Kanzleikapazität abzufedern, also
den Leverage zu erhöhen. Abgesehen davon, dass gute
Prozessanwälte nicht leicht, geschweige denn ad hoc, zu gewinnen sind, geht die
Erwartungshaltung von Mandanten, des BGH
und vieler Instanz-kollegen dahin, dass
Revisionsanwälte Verfahren nicht nur akquirieren, sondern vollinhaltlich
bearbeiten. Diese Erwartungshaltung entspricht auch der Überzeugung und der
Praxis des Autors.
Gerade für solchermaßen motivierte
Prozessanwälte ist die Vorhersehbarkeit und Verlässlichkeit des
Fristverlängerungsregimes ein hohes Gut. Daher wäre es wünschenswert, dass sich
die hier vertretene Auffassung bei den Berufungsgerichten und auch bei dem BGH als Revisionsgericht durchsetzt. Der
Prozessanwalt und seine Mitarbeiter müssten dann nicht stets im Blick haben,
bei welchem Senat – unter welchem Vorsitzenden – das betreffende
Verfahren anhängig werden könnte oder bereits anhängig ist. Da aber nie
ausgeschlossen ist, dass Vorsitzende mit festen Rechtsüberzeugungen amtieren,
die der Brandung der praktischen anwaltlichen Bedürfnisse dauerhaft
widerstehen, liegt die Bitte an den Gesetzgeber nahe, das hier dargelegte
Verhältnis der Fristverlängerungsmöglichkeiten im Gesetz klarzustellen. Hierzu
bedürfte es nicht vieler Worte – ein einziges würde bereits genügen:
In § 520 II 3 ZPO müssten lediglich die Worte „um bis zu einen
Monat“ durch die Worte „ferner um bis zu einen Monat“ ersetzt werden. Die
Änderung in § 551 II 6 ZPO wäre sinngemäß die gleiche.
2. Fristverlängerung
durch den Gesetzgeber
Die hier dargestellten Fristenregelungen
und deren beschränkte Verlängerungsmöglichkeiten sind von dem Gedanken der
Verfahrensbeschleunigung getragen[10]. Die
vor dem ZPO-Reformgesetz des Jahres 2001[11]
geltende Vorgängerregelung des § 554 II 2 ZPO aF sah lediglich vor, dass die Revisionsbegründungsfrist
von dem Vorsitzenden verlängert werden kann. Diese Vorschrift unterschied nicht
zwischen Fristverlängerungen mit oder ohne das Einverständnis des Gegners und
sah insbesondere keine zeitliche Obergrenze bei der Verlängerung ohne das
gegnerische Einverständnis vor. Sie war daher erheblich offener und flexibler
als das heute geltende Recht[12]. Auch
wenn der Gedanke der Verfahrensbeschleunigung im Grundsatz keinen Widerspruch
verdient, hat doch jede Beschleunigung mit Augenmaß zu geschehen. Eine Überbeschleunigung
nützt letztlich niemandem. Dennoch ist es in dem vorliegend betrachteten
Zusammenhang zu einer solchen gekommen.
Der anwaltlichen Leserschaft muss nicht
erklärt werden, dass gute Rechtsmittelbegründungen wesentlich zu einer guten
Rechtsprechung beitragen. Ebenso ist es anwaltliches Gemeingut, dass gute forensische
Schriftsätze Produkt ernsthafter, schwerer – und zeitaufwändiger –
Arbeit sind. Schon in normalen Zeiten ist daher das geltende Recht insoweit „auf
Kante genäht“, als es dem Prozessanwalt kaum ausreichend Zeit für diese
ernsthafte Arbeit lässt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Komplexität
und die Arbeitsaufwändigkeit von Zivilprozessen sehr unterschiedlich sind, die
Länge der Fristen und deren Verlängerbarkeit aber hiervon unberührt bleibt. In
Zeiten einer Pandemie laufen gleichwohl die gesetzlichen Fristen weiter, obwohl
die Arbeitsmöglichkeiten, etwa durch die Schließung oder die Beschränkung von
Bibliothekszugängen, und durch die vielfältigen Erschwernisse des
Pandemie-Alltags eingeschränkt sind. Auch eine Virus-Erkrankung des
Rechtsanwalts selbst kann bei einem ausreichenden „Fristenbudget“ ohne weitere
Maßnahmen durch eine Fristverlängerung bewältigt werden. Der Verweis auf die
Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Fällen der
unverschuldeten Fristversäumung (§§ 233 ff. ZPO, §§ 17 ff.
FamFG) kann dabei kein Ersatz für ein auskömmliches Regelsystem sein. Er würde
auch den anwaltlichen und gerichtsseitigen Aufwand sowie die Fehleranfälligkeit
dieses Notfallinstruments ignorieren.
Der Nutzen dieser Überbeschleunigung ist
schon in gewöhnlichen Tagen nicht erkennbar. Für die Gesamtverfahrensdauer von
Berufungsverfahren oder Revisions- und Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren in
dritter Instanz ist es in aller Regel von nachgelagerter Bedeutung, ob der
Rechtsmittelführer und sein Prozessbevollmächtigter einen oder zwei Monate mehr
Zeit für die Anfertigung der Rechtsmittelbegründung haben und nutzen oder
nicht. Viel entscheidender ist, wann die Sachbearbeitung durch den Berufungs-
oder Revisionssenat beginnt, nachdem der Prozess durch die Parteien
ausgeschrieben wurde. Hier gibt es nach der Wahrnehmung des Autors große Unterschiede
zwischen den einzelnen Berufungsgerichten, aber auch innerhalb des BGH. Gemeinsam ist diesen Gerichten
jedoch, dass eine zusätzliche Bearbeitungsfrist von einem oder zwei Monaten für
den Rechtsmittelführer in dem relativen Verhältnis zu der „gerichtlichen
Verweildauer“ ausgeschriebener Verfahren eher eine Petitesse ist. Dabei geht es
nicht um Richterschelte, sondern um die de lege lata erheblich unterschiedliche
Budgetierung der Zeit für die anwaltliche und für die richterliche Arbeit[13].
Diese Asymmetrie tritt in einer
Pandemiezeit besonders deutlich hervor. Während mündliche Verhandlungen
– wenn überhaupt – auf Monate hinaus terminiert werden,
Beratungstermine verschoben und überhaupt der Verfahrensdurchsatz im
Gerichtsbetrieb nach den tatsächlichen (oder auch nur gefühlten)
Pandemiebedürfnissen heruntergefahren wird, laufen die hier betrachteten
Rechtsmittelbegründungsfristen in unverminderter Kürze und nur mit den hergebrachten
Verlängerungsmöglichkeiten weiter. Eine solche Asymmetrie wird der Funktion der
(Prozess-)Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege nach § 1 BRAO nicht gerecht.
Diese Erwägungen könnten die Tür aufstoßen
zu einer breitflächigen Durchsicht des Zivilverfahrensrechts und des Rechts der
freiwilligen Gerichtsbarkeit (oder noch anderer Gerichtszweige) im Hinblick
darauf, ob das Fristenregime noch zeitgemäß ist und den Bedürfnissen auch der
Prozessanwälte entspricht. Darum kann und soll es hier nicht gehen. In Zeiten
einer Ad-hoc-Gesetzgebung und der Bewilligung von vielfältigen Erleichterungen
an Personen und Gesellschaften, die von der COVID-19-Pandemie betroffen sind,
könnte ein kleiner Teil der legislatorischen Wohltaten auch über die forensisch
tätigen Anwälte ausgeschüttet werden. Der hier geführten Diskussion über die Möglichkeit
von Fristverlängerungen wäre die Dringlichkeit genommen, wenn die gesetzlichen
Begründungsfristen sowohl in dem Berufungsverfahren als auch in den Verfahren
in dritter Instanz um einen Monat von zwei auf drei Monate verlängert würden.
Gleiches gilt für die Verlängerung der Begründungsfristen des
§ 520 II 3 ZPO und des § 551 II 6 ZPO von einem
auf zwei bzw. von zwei auf drei Monate.
Dies wären für den Gesetzgeber durchweg regelungstechnische
Kleinigkeiten, die in kurzer Frist zu bewerkstelligen wären. Es sei die
Prognose gewagt, dass sich diese „gesetzlichen Fristverlängerungen“ auch nach
dem Abebben der Pandemie bewähren würden. Wahrnehmbare Verzögerungen der
Gesamtverfahrensdauer dürften kaum festzustellen sein, möglicherweise hingegen
eine erkennbare Zunahme der Qualität und der Reife der Rechtsmittelbegründungen.
Einen Versuch schiene dies jedenfalls wert.
VI. Zusammenfassung
Nach dem geltenden Recht können in den
Verfahren nach der ZPO und dem FamFG die Rechtsmittelbegründungsfristen mit und
ohne das Einverständnis des Rechtsmittelgegners verlängert werden. Beide
Verlängerungsmöglichkeiten sind unabhängig voneinander. Insbesondere die
Fristverlängerung ohne die Einwilligung des Gegners ist unabhängig davon, ob
zuvor eine Fristverlängerung im gegnerischen Einverständnis beantragt und
bewilligt wurde. Dies sollte der Gesetzgeber zur Vermeidung von Zweifeln und
von Rechtszersplitterung klarstellen. Die derzeit vorherrschende
COVID-19-Pandemie gibt ferner Anlass zu der Überlegung, das derzeit ohne echten
Nutzen übermäßig gestraffte Fristenregime bei den
Rechtsmittelbegründungsfristen und deren Verlängerung etwas zu entzerren. Das
würde den Prozessanwälten nicht nur bei der Bewältigung der aktuellen Krise
helfen, sondern auf längere Sicht der Qualiätsverbesserung von Schriftsätzen
und – nicht zuletzt - richterlichen Entscheidungen dienen. Dann hätte die Krise auf diesem Gebiet
nicht nur Erschwernisse mit sich gebracht, sondern auch echten Nutzen
geschaffen.
* Der Autor ist
Rechtsanwalt beim BGH in Karlsruhe.
[1] Vgl. MüKoZPO/Krüger,
5. Aufl. 2016, § 551 Rn. 16.
[2] Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald,
Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 76 Rn. 1 ff.
[3] Vgl. Ball, in: Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 551 Rn. 4 u.
§ 520 Rn. 8.
[4] Vgl. MüKoZPO/Krüger, § 551
Rn. 14 („einmal“); dahin auch BGH, NJW 2004, 1742, unter 2. (zu
§ 520 II 3 ZPO).
[5] Vgl. RegE
eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drs. 14/4722
v. 24.11.2000, S. 107, re.Sp.; RegE eines
Gesetzes zur Modernisierung der Justiz (Justizmodernisierungsgesetz – JuMoG,
BT-Drs. 15/1508 v. 2.9.2003, S. 21, re.Sp.
[6] Dahin
auch Ball, in Musielak/Voit, § 551 Rn. 4 (zu S. 6 Hs. 2).
[7] So
auch bereits MüKoZPO/Krüger, § 551 Rn. 14 aE
(vormaliger Senatsvorsitzender des V. Zivilsenats
des BGH).
[8] Vgl. Ball in Musielak/Voit, § 520 Rn. 9 m.w.N.
[9] Vgl. RegE
eines Gesetzes zur Modernisierung der Justiz (Justizmodernisierungsgesetz – JuMoG),
BT-Drs. 15/1508 v. 2.9.2003, S. 21 f.; Ball in Musielak/Voit, § 551
Rn. 4.
[10] Vgl. RegE
eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drs. 14/4722 v. 24.11.2000,
S. 1, unter A und 107 (re.Sp).
[11] Vgl. Gesetz
zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozessreformgesetz – ZPO-RG)
v. 27.7.2001, BGBl. 2001 I, 1887.
[12] Vgl. Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 59. Aufl. 2001,
§ 554 Rn. 5; Büttner,
BRAK-Mitt. 2003, 202 (206 f.).
[13] § 198
GVG sei nicht übergangen; die Vorschrift erfasst aber nur Extremfälle überlanger
Verfahrensdauer.